3D-Drucken mit Beton: ein Wohnhaus in 20 Stunden und eine Mondstation
Surfen Sie ein oder zwei Minuten im Internet, und Sie werden feststellen, dass sich mit 3D-Druck die verschiedensten Dinge herstellen lassen: Autoteile und -prototypen, Ohrprothesen, Stammzellen, Maschinenpistolen, Brillen oder auch Nachspeisen, die auf den individuellen Ernährungsbedarf zugeschnitten sind.
Doch wie sieht es mit Gebäuden aus? Könnte das Verfahren nicht angepasst werden, um – schneller und effizienter – Einfamilienhäuser, Geschäftsgebäude oder sogar ganze Siedlungen maßstabsgetreu zu errichten?
Ein Haus in 20 Stunden
Genau das hatte Behrokh Khoshnevis im Sinn, als er Contour Crafting (CC) entwickelte, einen 3D-Betondrucker, mit dem sich ein 230-Quadratmeter-Haus innerhalb von ca. 20 Stunden bauen lässt.
Khoshnevis ist Professor für Industrie- und Systemtechnik an der University of Southern California und Direktor des Center for Rapid Automated Fabrication Technology (CRAFT). Sein blitzschnelles Verfahren für den 3D-Betondruck, das derzeit mit finanzieller Unterstützung der National Science Foundation und des Office of Naval Research entwickelt wird, spart nicht nur Zeit und Baukosten, sondern reduziert auch die Zahl der Verletzungsfälle auf der Baustelle und besitzt damit das Potenzial, die Baubranche zu revolutionieren.
Zu beobachten, wie eine Mauer anhand von CC errichtet wird, ist, als schaue man zu, wie Zuckerguss auf einen Kuchen gespritzt wird. Eine robotergesteuerte Düse, die von einer CAM-Anwendung geführt wird, trägt schichtweise Streifen nassen, schnell trocknenden Betons auf.
Das Geniale an dem System sind die beiden an der Düse befestigten spachtelartigen Lamellen, die den Beton verteilen und perfekt in Form bringen. Die Adaptierung des Spachtels für den 3D-Druck ist das Ergebnis eines Geistesblitzes, der Khoshnevis 1994 kam, als er die bei dem Erdbeben im kalifornischen Northridge entstandenen Risse in seinem Wohnzimmer auffüllte.
Die Innovation sorgte für eine erhebliche Steigerung der Geschwindigkeit sowie eine Verbesserung der Oberflächenqualität und brachte Khoshnevis auf die Idee, den 3D-Druck im Bauwesen einzuführen. „Damals dachte ich nicht an 3D-Druck für Gebäude“, erklärt Khoshnevis. „Ich wollte einfach nur schneller bauen. Mir fiel auf, dass eine viel höhere Geschwindigkeit möglich ist als bei anderen 3D-Druckverfahren, was die Herstellung großer Strukturen erlaubt.“
So zum Beispiel die Gießformen für Schiffsschrauben und U-Boote, die er zu diesem Zeitpunkt herstellte; die ersten per Contour Crafting gefertigen Wände im Jahr 2004 und – wenn alles nach Plan läuft – das erste vollständig mit diesem Verfahren erbaute Haus, das bis zum Sommer 2016 auf dem Campus der University of Southern California entstehen soll.
So funktioniert es
Beim Einsatz von CC ist der 3D-Drucker, der an einem sechs Meter hohen Spezialgerüst befestigt ist, das aussieht wie ein übergroßer Sägebock, lediglich ein Bestandteil einer viel größeren Anlage. Die Maschine legt Betonschicht auf Betonschicht: Das Haus wird „gedruckt“. Die Anlage ist äußerst anpassungsfähig. So kann das Gerüst in einer komplexeren Konfiguration auf gleisartigen Schienen hin- und herfahren, um mehrere Häuser oder gleich ein komplettes Wohnviertel zu errichten. Strom- und Rohrleitungen sowie Lüftungsschächte sind in die Hohlwandstruktur eingebettet. Oberflächen, Fliesenbeläge, Innenausstattung und eine kettenartige ausfahrbare Metalldecke können ebenfalls integriert werden. Ein Video auf der CC-Website demonstriert den gesamten Prozess.
Khoshnevis ist nicht der einzige, der anhand von 3D-Druck die Grenzen der Bauindustrie austestet. Im Sommer 2015 stellte MX3D Pläne für den 3D-Druck einer Fußgängerbrücke mit mehrachsigen Robotern vor, und das Minibuilders-Projekt zeigt, wie ein Team von Robotern aus einem Marmor- und Polymer-Verbundwerkstoff bestehende Strukturen im menschlichen Maßstab bauen kann.
Dennoch sticht das Projekt von Khoshnevis aufgrund seiner vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und weitreichenden Ambitionen heraus. Häuser zählen zu den wenigen Dingen, die nach wie vor per Hand gebaut werden, erklärt Khoshnevis. Die Herstellung von Schuhen, Bekleidung und Haushaltsgeräten ist bereits automatisiert worden. Trotz des Widerstands von Kritikern, die befürchten, per 3D-Druck errichtete Wohnhäuser könnten zur Vernichtung qualifizierter Arbeitsplätze im Bausektor führen – eine Gefahr, die Khoshnevis nicht vollständig von der Hand weist –, ist der Professor der Ansicht, dass Häuser als Nächstes an der Reihe sind, wenn es um industrielle Automatisierung geht.
Sozialer Wohnungsbau und Notunterkünfte
Khoshnevis, der 1974 aus dem Iran in die USA auswanderte und über 70 Patente in verschiedenen Bereichen – von Luft- und Raumfahrttechnik bis Robotik – hält, sieht Anwendungsmöglichkeiten für CC im Gewerbebau, in der Errichtung von Sozialwohnungen und Notunterkünften sowie im autonomen Bau von Weltraumkolonien. Der umtriebige Erfinder und Fellow für Innovative Advanced Concepts bei der NASA hat sogar einen Vorschlag für das Sintern von Mondstaub für die Konstruktion einer Landestation für zukünftige Raumfahrzeuge ausgearbeitet.
Hier auf der Erde könnte CC zur Errichtung eines oder mehrerer Häuser, die keinesfalls alle gleich aussehen müssen, in einem einzigen Arbeitsschritt verwendet werden. Die Prototypen sind extrem stabil, mit einer Druckbelastbarkeit von 690 bar, was dem Dreifachen eines typischen Wohnhauses entspricht. Das heißt, sie sind besonders gut für Regionen geeignet, die häufig Erdbeben und Wirbelstürmen ausgesetzt sind.
Und da die Arbeits-, Finanzierungs- und Materialkosten von CC niedrig sind, kann das Verfahren laut Khoshnevis auf breiter Front zum Drucken erschwinglichen Wohnraums in armen Entwicklungsländern eingesetzt werden: „Wenn es uns gelingt, diese Methode für ärmere Regionen wirtschaftlich verfügbar zu machen, können wir hoffentlich auf die Bedürfnisse dieser Gebiete reagieren.“
Befürchtungen, der industrielle 3D-Druck von Beton könne in einer kalten Allzweckarchitektur resultieren, hält Khoshnevis entgegen, dass CC elegante geometrische Strukturen möglich macht, die so formvollendet sind wie einige der aufwendigsten frühen Lehmbauten in seinem Heimatland Iran.
Aufgrund der verblüffenden Geschwindigkeit, mit der Gebäude gedruckt werden, könne das Verfahren den verschwenderischen Praktiken einer Bauwirtschaft ein Ende bereiten, die berüchtigt ist für die Anlieferung von Materialien über große Entfernungen sowie lange Montagezeiten, was zu hohen CO2-Emissionen beiträgt. Weil sich dadurch die Anzahl der Arbeiter auf einer Baustelle verringere, könne das Verfahren sogar Leben retten, erläuterte Khoshnevis in einem TEDx-Gespräch im Februar 2012 im kalifornischen Ojai und verwies auf die jährlich 400.000 Verletzten und 6.000 Toten bei Bauunfällen in den USA.
Auch wenn sich die Suche nach Finanzierungspartnern und die Einholung behördlicher Genehmigungen schwierig gestalte, wie Khoshnevis einräumt, biete die Technologie eine Kombination aus Kosteneffizienz, Geschwindigkeit und architektonischer Flexibilität, die eine Investition seiner Ansicht nach lohnenswert mache. „Die Realität ist, dass es Zeit brauchen wird“, sagt er. „Die Errichtung von Gebäuden ist ein sehr konservatives Unterfangen. Zu Recht. ‚Repariere nicht, was nicht kaputt ist.‘ Die heutigen Praktiken sind nicht die effizientesten und produktivsten, doch ein Paradigmenwechsel ist disruptiv und risikobehaftet.“
Nicht dass Khoshnevis Angst vor Veränderungen hätte, insbesondere wenn sie zu wirtschaftlichem Wachstum und mehr Mobilität führen. „Im Jahr 1900 waren 62 Prozent der US-Amerikaner Farmer. Heute sind es weniger als 1,5 Prozent. Die Welt ist nicht untergegangen. Es werden immer größere Skaleneffekte erzielt werden, dank des Fortschritts und des Einsatzes nützlicher Technologien.“