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Roboter im Anmarsch! Fahrerlose Planierraupen verheißen den Anbruch einer automatisierten Zukunft im Bauwesen

Der amerikanische Nationalheld Paul Revere würde das Land, für das er einst mit einem halsbrecherischen Mitternachtsritt sein Leben aufs Spiel setzte, kaum wiedererkennen. Heute könnte er bequem im Prius von Boston nach Lexington fahren, um seinen Landsleuten eine Freudenbotschaft zu verkünden. Denn diesmal sind keine schwer bewaffneten britischen Truppen im Anmarsch, sondern hilfsbereite Roboter: Die autonome Fahrzeugtechnologie ist längst keine Sci-fi-Fantasie mehr – sie ist bereits Realität.

Im Mittelpunkt dieser friedlichen Revolution stehen fahrerlose Pkws, die mittlerweile in fünf US-Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington zu Testzwecken im Straßenverkehr zugelassen sind. Schon 2020 sollen die ersten Modelle im Handel erhältlich sein. Doch auch Busse, Züge, Lkws und andere Nutzfahrzeuge sind reif für eine Automatisierung, die ähnliche Vorteile für die Industrie verspricht wie fahrerlose Pkws für den Verbraucherbereich.

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Mit freundlicher Genehmigung von Rio Tinto

„Bei der Akzeptanz neuer Technologie hinkt der Baumaschinen- dem Automobilsektor um etwa zehn Jahre hinterher“, so Tudor Van Hampton, der Chefredakteur der Fachzeitschrift Engineering News-Record. „Im Automobilbau gilt die S-Klasse von Mercedes Benz als Innovationsführer – sämtliche Neuerungen, die bei der S-Klasse eingeführt werden, setzen sich früher oder später auch im Lkw-Bereich und von dort aus dann im Baumaschinensektor durch.“

Die S-Klasse-Limousine der Baureihe 222 – deren Fahrerassistenzsystem automatisch einparken, die Fahrspur halten und notfalls korrigieren, lenken und bremsen kann – wurde im vergangenen Jahr als erster selbstfahrender Pkw serienmäßig produziert. Die Automatisierung von Traktoren, Planierraupen, Kränen, Kipplastern und Baggern ist da nur eine Frage zur Zeit.

Mehr Effizienz im Rohstoffabbau

Im Bergbau laufen bereits Versuche, die einen Vorgeschmack darauf geben, was letztendlich in der Bauwirtschaft möglich sein wird, so Todd Gurela, der beim Telekommunationsriesen Cisco die Abteilung „Internet of Everything“ leitet. Sein Team hat im Rahmen des „Mine of the Future“-Programms in enger Zusammenarbeit mit der internationalen Bergbaugesellschaft Rio Tinto die Automatisierung ihrer Bergwerke in der Region Pilbara in West-Australien betreut.

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Autonome Kipplaster in einem von Rio Tinto betriebenen Bergwerk in Pilbara. Mit freundlicher Genehmigung von Rio Tinto.

„Rio Tinto zählt zu den Vorreitern auf dem Gebiet der Effizienzoptimierung im Rohstoffabbau“, erläutert Gurela. Der Konzern habe seinen Maschinenfuhrpark zunächst mit Diagnosesensoren zur Leistungsüberwachung ausgestattet, um anhand der erfassten Daten Optimierungspotenziale durch Automatisierung zu identifizieren. So nutzt Rio Tinto in seinen Bergwerken in Pilbara derzeit 69 fahrerlose Kipplaster des japanischen Herstellers Komatsu, die zur Orientierung GPS-Daten nutzen. Führerlose Güterzüge zur Weiterbeförderung des hochgradigen Eisenerzes zu den Verladehäfen befinden sich derzeit in der Entwicklungs- und Testphase; robotische Bohrer, mit denen ein einziger Bediener mehrere Bohrlöcher per Fernsteuerung überwachen kann, sind bereits im Einsatz.

„Diese fahrerlosen Fahrzeuge liefern ihre Ladungen effizienter und reduzieren gleichzeitig Betriebsverzögerungen und Kraftstoffverbrauch. Sie werden von Bedienern ferngesteuert, die mehr Kontrolle über ihre Umgebung haben und dadurch für mehr Betriebssicherheit sorgen“, so der Konzern über sein autonomes Transportsystem. Zu dem autonomen Bohrsystem heißt es in der entsprechenden Dokumentation: „Bei maximaler Präzision und Maschinenauslastung ist es um einiges sicherer für die Bediener.“

Die Baustelle der Zukunft

Baumaschinenhersteller arbeiten derzeit mit Volldampf an der Entwicklung autonomer Fahrzeuge, die Einsparungspotenziale, wie Rio Tinto sie in Australien erzielen konnte, auf Baustellen übertragen. Komatsu brachte bereits 2013 die teilautonome Planierraupe D61i-23 auf den Markt, die als erste Maschine ab Werk mit einer vollautomatisierten Schildsteuerung ausgestattet ist. Auch bei Caterpillar und John Deere wird kräftig in die Entwicklung ähnlicher Modelle investiert, die zunächst teilautonom und später dann vollautomatisiert funktionieren sollen.

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Ein Bediener steuert eine Planierraupe des Typs Caterpillar D11T aus ca. 100 Metern Entfernung. Die Bildschirmanzeige gibt die von den in der Planierraupe installierten Kameras übertragenen Aufnahmen wieder. Mit freundlicher Genehmigung von Caterpillar.

Diese Maschinen werden bereits innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre auf Baustellen zum Einsatz kommen, prophezeit Van Hampton, der sich davon entscheidende Verbesserungen in mehreren Bereichen verspricht:

  • Sicherheit. Bei Rio Tinto werden die fahrerlosen Fahrzeuge aus sicherer Entfernung gesteuert. Durch Automatisierung lässt sich jedoch auch die Sicherheit von Bedienern verbessern, die in der Fahrerkabine sitzen. „Traditionell war die Bedienung von Baumaschinen immer Schwerstarbeit“, wie Van Hampton erläutert. „Die Führung eines Geländefahrzeugs ist ungemein anstrengend für Nacken, Arme und Hände. Heutzutage wird auf Baustellen zunehmend nachts gearbeitet, und die Bediener machen zwischendurch immer wieder Mikro-Nickerchen. All das führt zur Erhöhung des Risikos bei Bauprojekten. Die Automatisierung von Sicherheitsmaßnahmen – indem man beispielsweise die Maschinen mit der erforderlichen Intelligenz ausstattet, sodass sie merken, wenn der Bediener einschläft, und ihn wecken – kann zur Verringerung dieser Risiken beitragen.“
  • Produktivität. „Sicherheitstechnische Erwägungen alleine reichen nicht aus – die flächendeckende Einführung dieser Systeme kann nur gelingen, wenn auch unterm Strich etwas dabei herauskommt“, gibt Gurela zu bedenken. Der kanadische Erdölkonzern Suncor etwa setze auf seinen Ölsandfeldern in der Provinz Alberta selbstfahrende Transportfahrzeuge ein, die Betriebsstörungen aufgrund von menschlichem Versagen ausmerzen und dadurch die Produktivität steigern sollen. „Diese 400-Tonnen-Laster fahren täglich ca. 20 Mal hin und her. Zwei Fahrten mehr pro Tag und Laster würden eine ziemlich beträchtliche Steigerung der Gesamtproduktivität der betreffenden Förderstätte bedeuten.“
  • Effizienz. Automatisierte Baumaschinen sind mit einer telematischen bzw. Ferndiagnose-Funktion zur ständigen Überwachung und Optimierung ihrer Leistung ausgestattet. Dabei kommen Sensoren zum Einsatz, die mit dem Internet verbunden sind. Dank einer verlängerten Lebensdauer der Maschinen – nach Auskunft von Gurela halten etwa die Reifen bei fahrerlosen Transportlastern um bis zu 50 Prozent länger – bei gleichzeitiger Verringerung des Personalaufwands und Energieverbrauchs lassen sich auf diese Weise erhebliche Einsparungen erzielen. „So hängt beispielsweise die Kraftstoffeffizienz einer Maschine zu einem großen Teil von der Kompetenz des Bedieners ab“, erläutert Van Hampton und fügt hinzu, die Integration von 3D-Modellen werde weitere Zeit- und Kosteneinsparungen ermöglichen. „Sie können ein dreidimensionales Geländemodell als Zusatzmodul an eine Maschine anschließen, das deren Betrieb dann automatisch entsprechend den jeweils eingegebenen Daten optimiert. Man kann sich das ähnlich wie bei der Gebäudedatenmodelliereung vorstellen, nur dass horizontal statt vertikal gebaut wird.“
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Diese Planierraupe wird vom Bediener im Bild oben ferngesteuert. Mit freundlicher Genehmigung von Caterpillar.
  • Autopiloten für Planer und Konstrukteure. Bei allen Vorteilen ist nicht damit zu rechnen, dass die Automatisierung menschliche Bediener arbeitslos machen wird. „In Zukunft wird ihnen wohl eine ähnliche Funktion zukommen wie Piloten in der kommerziellen Luftfahrt“, glaubt Van Hampton. „Sie werden weiterhin für die Eingabe der korrekten Daten in den Autopilot verantwortlich sein und müssen intervenieren, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Insofern werden ihre Fachkenntnisse sehr viel entscheidender sein als die rein mechanischen Aspekte ihrer Arbeit – wie Hebel bedienen und den Steuerknüppel halten.“

Eins steht jedenfalls fest: Genauso wie fahrerlose Autos das Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsplatz angenehmer gestalten werden, könnten selbstfahrende Planierraupen, Kräne, Laster und Bagger letztendlich zu einer Optimierung der gebauten Umwelt beitragen. Voraussetzung dafür wäre, dass Bauherren und -unternehmer die bei Personal- und Materialkosten und Zeitaufwand erzielten Einsparungen anderswo investieren: nämlich in Planung und Gestaltung.

„Je mehr sich im Bauwesen durch digitale Modellierung und den Einsatz von autonomen oder halb-autonomen Maschinen bei der Projektabwicklung optimieren lässt“, ist Van Hampton überzeugt, „desto mehr wird sich die Qualität der Bauten verbessern, die Bauzeit verkürzen und die Gewinnspanne für die Bauträger erhöhen, und damit steigt auch der Wert für die Endnutzer.“

Über den Autor

Matt Alderton lebt und arbeitet in Chicago als freischaffender Publizist. Er hat sich auf Wirtschaftsthemen, Design, Ernährung, Reisen und Technologie spezialisiert. Unter anderem hat der Absolvent der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois bereits über Beanies, Mega-Brücken, Roboter und Hähnchen-Sandwiches berichtet. Er ist über seine Website MattAlderton.com zu erreichen.

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