5 Schritte zum digitalen Kulturwandel beim Schüttgutriesen Claudius Peters
Auf einer Liste von Marken, die man kennen muss, wird Claudius Peters wohl so schnell nicht auftauchen. Diesbezüglich brauchen Amazon und Tesla den Spezialisten für Schüttgut- und Verfahrenstechnik für die Verarbeitung von Zement, Kohle, Aluminium und Gips kaum als Konkurrenten zu fürchten. In anderer Hinsicht vielleicht schon: Als Chief Digital Officer und Operations Director will Thomas Nagel das über 100-jährige Traditionsunternehmen als globalen Vorreiter im Bereich digitale Innovation etablieren.
Das 1906 gegründete Unternehmen mit Sitz in Buxtehude hat mittlerweile Niederlassungen in mehreren europäischen Ländern, China und Lateinamerika. Seine Größe und Langlebigkeit stehen für Vertrauen und Zuverlässigkeit. „Die über 100-jährige Unternehmensgeschichte macht uns aber auch zum Dinosaurier“, so Nagel. Daraus ergibt sich eine grundlegende Herausforderung: Wie wehrt man sich als Dinosaurier gegen das Aussterben?
Nagel arbeitet seit 26 Jahren bei Claudius Peters, heute in den potenziell widersprüchlichen Funktionen als Operations Director und Chief Digital Officer. Er gilt als Fürsprecher des Wandels, notfalls auch gegen den Widerstand anderer altgedienter Führungskräfte im Unternehmen.
„Das war echt hart, denn manche Kollegen wollten unbedingt an altbewährten Arbeitsverfahren festhalten“, erinnert sich Nagel. „Sie wollten die Hierarchien unbedingt beibehalten – aber so funktioniert es heute einfach nicht mehr. In der heutigen Arbeitswelt geht es darum, Nachwuchskräfte zu fördern, Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich in neuen Rollen zu bewähren, die richtige Person für die jeweilige Aufgabe zu finden und dann dafür zu sorgen, dass der Betreffende geeignete Unterstützung bekommt und die entsprechenden Kompetenzen erwirbt.“
Das Team von Claudius Peters führte bereits 2007 die ersten digitalen Planungswerkzeuge ein. Zehn Jahre später ließ Nagel sich als Teilnehmer der Autodesk University von der neuen Generation der Generativen-Design-Technologie begeistern. „Wir probierten die Technologie aus, ohne überhaupt einen klaren Plan oder ein Ziel vor Augen zu haben“, gesteht er rückblickend.
Bereits im Folgejahr wurde sein Unternehmen auf der 2018er Ausgabe der Autodesk University für seine Generative-Design-Initiative als „Innovator of the Year“ gewürdigt. Im Vordergrund der Initiative, die unter dem Motto „Inspired Excellence“ läuft, steht die Steigerung der Kundenzufriedenheit, Lieferqualität und Effizienz in punkto Durchlaufzeiten und Fertigungskosten.
Die Konstrukteure testeten die Generative-Design-Software an einem großen, schwergewichtigen Metallgussteil mit hohen Herstellungskosten. Nach einer vierstündigen Schulungssitzung gelang es ihnen, eine um 25 Prozent leichtere Alternative zu entwerfen. Eine Festigkeits- und Verformungsuntersuchung anhand der Finite-Element-Methode ergab, dass das neue Teil aus verschweißten lasergeschnittenen Platten in Bezug auf Festigkeit, Fertigungsaufwand und Kosteneffizienz besser abschnitt als das Metallgussteil.
Um die Tragweite des Kulturwandels bei Claudius Peters zu begreifen, muss man sich vor Augen führen, in welchen Größenordnungen die Produkte des Unternehmens weltweit verarbeitet werden. Idealerweise sollte man sich auch beim Thema Zementherstellung ein bisschen auskennen – einem eher nicht für seine Agilität bekannten Gewerbe, das sich bis zu den alten Römern zurückdatieren lässt. Mit einem Gesamtvolumen von 4,1 Milliarden Tonnen im Jahr 2018 ist Zement heute der weltweit meistverwendete Werkstoff überhaupt.
Zur gewerblichen Herstellung von Zement müssen zunächst enorme Mengen des Ausgangsstoffs Zementklinker gebrannt werden. Bei Durchsätzen der Drehrohröfen von 3.000 bis 10.000 Tonnen Klinker pro Tag werden in riesigen Werkanlagen schiere Unmengen von Energie verbraucht. Vor der Weiterverarbeitung muss der Klinker auf ca. 90 °C abgekühlt werden. Hier kommt bei Claudius Peters ein neu entwickeltes Verfahren zur Kühlung von bis zu 13.000 Tonnen Klinker pro Tag zum Einsatz.
Mit einer Länge von bis zu 50 Metern und einer Breite von bis zu 25 Metern hat der ETA-Kühler die halbe Fläche eines Fußballfelds. Die einzelnen Bauteile der Maschine, insbesondere die belüfteten Schubböden zum Transport des heißen Klinkers, wurden früher als massive Metallteile gefertigt. Inzwischen hat ein interdisziplinäres Team mithilfe der Autodesk-Software Inventor und der Finite-Element-Methode ein effizienteres und einfacheres Verfahren entwickelt, mit dem die Fertigung der Schubböden nur noch ein paar Stunden statt mehrere Tage dauert. „Statt die Schubböden zu zerspanen, erreichen wir nun durch Fügen und Schweißen die gleiche Qualität“, erläutert Nagel.
Angesichts der zur Zementherstellung erforderlichen Temperaturen und der hohen Produktionsvolumen ist es kein Wunder, dass die Zementindustrie für bis zu acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Dem Unternehmen Claudius Peters ging es zwar nicht primär um die Verbesserung seiner Treibhausgasbilanz; die durch die Umstellung der Fertigungsverfahren erzielte Steigerung der thermischen Effizienz ist jedoch ein willkommener Beitrag zur Reduzierung der negativen Umweltfolgen, wie Nagel sagt.
Die erfolgreiche Umsetzung der Innovationsstrategie des Unternehmens erfordert Offenheit für Veränderungen – bei Führungskräften und Mitarbeitern – ebenso wie ein gutes Netzwerk mit starken Partnern. „Indem wir weiterhin mit Partnern wie Autodesk zusammenarbeiten, können wir uns vor dem Aussterben retten und auch in Zukunft am Markt bestehen“, ist sich Nagel sicher. Als zielführende Schritte, die sein Unternehmen auf dem Weg zur „Inspired Excellence“ entscheidend voranbrachten, nennt er fünf Punkte:
1. Veränderung ist kein Projekt, sondern eine Haltung
Wichtigste Voraussetzung für die Transformation eines Unternehmens mit einer stolzen hundertjährigen Tradition in einen agilen Wettbewerber war und ist die Entwicklung neuer digitaler Kompetenzen und einer entsprechenden proaktiven Unternehmenskultur.
„Das ist wie beim Schwimmen“, meint Nagel. „Man trainiert und trainiert, und irgendwann fängt es an Spaß zu machen. Das Gleiche gilt für die Bewältigung von Veränderungen. Man muss sich klarmachen, dass Veränderung nicht per se schmerzhaft ist; man muss sie trainieren, dann macht sie Spaß.“
2. Veränderung braucht Akteure
Anstatt weitreichende Veränderungen „von oben“ durchzusetzen, fördert Nagel Veränderungen durch innovative Projekte im kleineren Rahmen, an denen unterschiedliche Teams und Fachdisziplinen beteiligt sind. „Ich gebe ihnen den Spielraum, einfach Dinge auszuprobieren und zu entwickeln“, sagt er. „Diese Leute werden bei uns als ‚Agile Akteure‘ bezeichnet.“
Diese Agilen Akteure sind zuständig für Innovation in ihren jeweiligen Bereichen sowie für die unternehmensweite Förderung dieser Innovationen. Dabei geht es nicht zwingend darum, dass sich die betreffenden Veränderungen sofort unterm Strich auszahlen, wie Nagel betont. „Oft machen wir vorher keine ROI-Berechnung“, erzählt er. „Sondern wir legen einfach los.“
3. Studentischer Nachwuchs bringt Innovation ins Unternehmen
Bei Claudius Peters macht man sich die Verjüngungskräfte des an den Universitäten vorhandenen Nachwuchspotenzials zunutze. Im Rahmen eines Studiums der Ingenieurwissenschaften muss in der Regel ein 20-wöchiges Unternehmenspraktikum absolviert werden. Deswegen pflegt das Unternehmen enge Kontakte zu Technischen Universitäten im Hamburger Raum, und nicht selten werden ehemalige Praktikanten nach dem Studium übernommen.
„Wir stellen Praktikanten ein, die studienbegleitend 15 bis 20 Stunden die Woche bei uns arbeiten“, erläutert Nagel. Im Rahmen kleinerer Projekte erhalten diese Praktikanten Gelegenheit, sich als „Agile Akteure“ zu betätigen und dabei die an der Universität erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen in der Praxis zu erproben.
„Wir geben den Studierenden Aufgaben, die wir selbst nicht bewältigen können: ‚Okay, hier ist die Aufgabe; wir wissen nicht, wie sie sich lösen lässt. Bitte schlagt uns eine Lösung vor!‘“, so Nagel. „Und die kriegen das hin. Sie sind an solche Lernsituationen gewöhnt bzw. an Situationen, in denen sie nicht wissen, wie etwas geht, und sich erstmal eingehend in die Materie einarbeiten müssen.“
4. Neue Tools und Technologien lösen neue Probleme
Die Erkenntnis, dass die Einführung neuer Werkzeuge und Methoden nicht unbedingt mit altbewährten Arbeitsverfahren vereinbar ist, betrachtet Nagel als wichtiges Innovationsprinzip. „Die Erfindung von elektrischem Licht war keine Verbesserung der Kerze“, wie er sagt. Entsprechend soll die Generative-Design-Initiative neue Kompetenzen ins Unternehmen bringen und, so hofft er zumindest, letztlich technologische Quantensprünge ermöglichen, die zur Lösung völlig neuartiger Probleme führen.
„Wir testen auch gerade die numerische Strömungsmechanik als Methode zur bedarfsabhängigen Regelung der Drucklufterzeugung in unseren Fabrikanlagen, um nach Möglichkeit den Stromverbrauch zu drosseln“, fügt er hinzu.
5. Auch die Bedürfnisse und Werte der Kunden ändern sich
Viele Innovationsprojekte bei Claudius Peters betreffen unternehmensinterne Änderungen. Einige sind jedoch auch durch neue Prioritäten seitens der Kunden motiviert. In der Anpassung an externe Veränderungen – insbesondere in Bezug auf nachhaltiges Wirtschaften – sieht Nagel ein weiteres Innovationsziel.
„Im Rahmen eines schonenden Umgangs mit unseren Rohstoffen müssen wir beispielsweise den Energieverbrauch optimieren“, erläutert er. „Aus dieser Motivation heraus haben wir etwa bereits 2003 den ETA-Kühler entwickelt, der aufgrund der Wärmerückgewinnung eine hervorragende thermische Effizienz aufweist. Die rückgewonnene Wärme lässt sich zur Senkung des Brennstoffverbrauchs im Drehrohrofen einsetzen. In meinen Augen ist das ein Riesenvorteil; es ist gut und richtig, schonend mit Rohstoffen umzugehen. Für einen Kunden, der beim Strom- oder Brennstoffverbrauch Kosten sparen will, bringt das ebenfalls einen großen Nutzen. Unsere Kunden haben ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele – wenn wir zeigen können, dass unsere Technologien einen Beitrag dazu leisten können, sind wir schon einen großen Schritt weitergekommen.“