Maschinelles Lernen erleichtert das Projektmanagement im Bauwesen – und verhindert Katastrophen
In der fragmentierten Baubranche ist „jedes einzelne Gebäude ein Prototyp“, meint Dustin Hartsuiker, Manager beim kalifornischen Unternehmen Swinerton Builders.
Im Vergleich zu Produkten der herstellenden Industrie zeigen Gebäude sich oft als schwierige und ineffiziente Fertigungsexperimente: Fehlende Standardisierung und maßgefertigte Bauteile bergen ein hohes Potenzial an Risiken und Unsicherheiten. Beim Neubau eines architektonischen Prototyps sind Irrtümer und Fehlstarts quasi vorprogrammiert.
Bei jedem großen, komplexen Projekt zeichnen Bauunternehmen unzählige Anmerkungen und Probleme auf: An einer Stelle schließen Schrauben nicht bündig mit einer Wand ab, an einer anderen fehlen Verblendungen oder wurde ein falscher Bodenbelag installiert. Im Projektmanagement ist die Priorisierung dieser Probleme ein manueller und zäher Prozess.
Maschinelles Lernen ist ein Prozess, bei dem Computer nicht manuell von Menschen programmiert werden, sondern lernen, Entscheidungen selbst zu treffen. Bei der Automatisierung von Priorisierungsprozessen lässt sich damit viel Zeit einsparen. Diese spezielle Art der künstlichen Intelligenz basiert darauf, dass Computer riesige Datenmengen durchforsten, die heute einfach im Internet bereitgestellt werden können.
Swinerton Builders wurde 1888 von einem schwedischen Einwanderer gegründet. Das Unternehmen testet am Bau der Country Club Towers in Denver im Rahmen des sogenannten „Project IQ“ ein Add-On für BIM 360 Field von Autodesk. Mit diesem Tool soll der oft chaotische Prozess von der Vorstellung bis zur Verwirklichung eines Gebäudes vereinfacht werden. Mithilfe von maschinellem Lernen identifiziert das Add-on automatisch Bauqualitäts- und Sicherheitsmängel, die bei jedem Bauvorhaben das größte Risiko darstellen. So können Teams schnell reagieren, Katastrophen verhindern und Folgeprobleme vermeiden, die zu erhöhten Kosten führen und den Zeitplan verzögern würden.
Auf der Baustelle hängen Erfolg oder Misserfolg nicht von der reinen Anzahl der Probleme bei einem Projekt ab, sondern von der Art der Probleme und deren Priorisierung. Ein unsauberer Anstrich muss in Ordnung gebracht werden, bevor der Mieter einzieht. Jedoch hat er eine weit geringere Priorität als die Korrektur von falsch installierten Fensterrahmen, die Lecks verursachen könnten.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen digitalen Assistenten. Dieser würde verstehen, was auf einer Baustelle passiert, und könnte die von Ihrem Team bereitgestellten Informationen über eine Projektmanagement-Software sammeln und priorisieren. Auf ganz ähnliche Weise ermöglicht maschinelles Lernen Projektmanagern und Bauleitern, „Risiken im Vorfeld zu erkennen, anstatt nur auf Probleme zu reagieren“, erklärt Hartsuiker – wie ein ausgefeiltes System zur Verwaltung von E-Mails, das Ihnen am ersten Arbeitstag nach einem Urlaub die zwanzig dringlichsten E-Mails aus Ihrem überfüllten Posteingang herausfischt.
Der primäre Nutzen bestehe darin, „Sie bei der Erkennung von Risikobereichen zu unterstützen, die vielleicht nicht so offensichtlich sind“, so Hartsuiker. „Risiken automatisch identifizieren und aufzeigen zu können ist für jedes Bauunternehmen und bei jedem Bauprojekt äußerst nützlich.“
Anhand dieser aggregierten Daten wird aufgezeigt, wo es Probleme gibt und wann ein Eingreifen erforderlich ist. „Wenn es mit einem Subunternehmer mehr Probleme gibt als mit anderen, erhöht das den Risikostatus dieser Firma“, erläutert Hartsuiker und erklärt, dass der Prozess übermäßige Schlamperei mit verstärkter Aufmerksamkeit bestraft. So führen auch nicht eingehaltene Termine zu einer höheren Risikoeinstufung. Außerdem analysiert das System die Texte von Berichten, um Gebäudesysteme zu identifizieren, die von vornherein ein höheres Risiko darstellen.
„Wenn es zwei Probleme gibt, und eins davon ist ein Kratzer an einem Wasserhahn, das andere ein Leck, aus dem Wasser in eine Wand einsickern kann, kommt in beiden das Wort ‚Wasser‘ vor. Aber maschinelles Lernen ist inzwischen so weit entwickelt, dass es ‚weiß‘, dass die Reparatur eines Kratzers keine große Sache ist, ein Leck jedoch sehr wohl“, erklärt Hartsuiker. „Die künstliche Intelligenz erkennt, dass in diesem Fall Problem B wichtiger ist als Problem A, und sorgt dafür, dass es in der Prioritätenliste nach oben rückt, wo es schneller die nötige Aufmerksamkeit erhält.“ Sollte das System beim ersten Auftauchen des Problems durch das Wort „Wasser“ verwirrt werden, sodass die Handwerker die Priorität des verkratzten Wasserhahns manuell herunterstufen müssen, lernt die KI aus diesem Fehler und passt ihren Algorithmus entsprechend an.
Bei Project IQ kommt maschinelles Lernen außerdem zum Einsatz, um mangelhaftes Sicherheitsverhalten aufzudecken – häufig mithilfe von Checklisten und Beobachtungen. Es sucht nach „Wiederholungstätern“ – Subunternehmen, die immer wieder die gleichen Fehler machen – und vergibt diesen eine höhere Risikoeinstufung. Zukünftig sollen diese Daten Projektmanager in die Lage versetzen, nicht nur Pfuscher abzustrafen, sondern auch gute Leistungen zu belohnen.
Hartsuiker schwebt ein System vor, in dem Projektteam und Subunternehmer anhand einer Farbkodierung verschiedenen Risikoeinstufungen direkt erkennen können – so als würden die Halbjahresnoten aller Schüler einer Klasse vorne an der Tafel hängen. „Eine Art Anzeigetafel oder tagesaktuelle Rangliste direkt am Eingang der Baustelle wäre ein klarer Anreiz für Teams, ‚im grünen Bereich‘ zu bleiben und die Qualität ihrer Arbeit auf Niveau zu halten“, sagt Hartsuiker. „Erfolge wie Misserfolge würden gleichermaßen offengelegt.“
So könnten beispielsweise die Daten markiert werden, die aufzeigen, was schiefgelaufen ist, wer es reparieren muss und gegebenenfalls, wie es behoben werden soll. Bei der Ableitung eines Grundalgorithmus – der Prioritätskriterien für die Risikoeinschätzung, auf denen die Software basiert – wurden die Arbeitsschritte von Subunternehmern rekonstruiert, die besonders gute Leistungen erbracht hatten. Weisen diese Gemeinsamkeiten auf, nach denen der Algorithmus bei anderen Unternehmen suchen kann? Wenn diese Qualitäten bestimmt wurden, können die Risiko- und Dringlichkeitsstufen im System entsprechend eingestellt werden.
Die digitale Dokumentation ermöglicht Planern und Bauherren über den gesamten Bauprozess hinweg einen erheblich verbesserten Zugriff auf Informationen. Der nächste Schritt besteht jetzt darin, diese Flut an Daten zu der Informationsmenge eines Fingerstreichs zu verdichten. Mit einem zuverlässigen Werkzeug, das diesen Datenwust sortiert, werden Bauherren mögliche Probleme vorhersehen können – so einfach und klar wie ein Blick auf die Wettervorhersage auf ihren Smartphones.