Nullenergiehäuser: Beispiel für Nachhaltigkeit in der Stadt
- Aktuell lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, wobei dieser Anteil Voraussagen zufolge im Laufe der kommenden Jahrzehnte weiter steigen wird
- Nullenergiehäuser sind hypereffiziente Bauwerke, die im Sinne der Nachhaltigkeit in der Stadt mit gutem Beispiel vorangehen
- Die Entwicklung von Nullenergiehäusern wird durch den technischen Fortschritt unterstützt und erfordert eine Zusammenarbeit zwischen Architekten, Ingenieuren und anderen Experten
Aus ökologischer Sicht ist vor allem der massive Anteil von Großstädten am Energieverbrauch und den Treibhausgasemissionen bedenklich. Zur wirksamen Bekämpfung der Erderwärmung und Einhaltung unserer Klimaschutzziele spielen entsprechende städteplanerische Maßnahmen eine entscheidende Rolle.
In der Zukunftsvorstellung vieler Visionäre, die auf das Internet der Dinge setzen, kommuniziert ein „intelligentes“ Stromnetz bidirektional mit intelligenten Gebäuden, die durch anspruchsvolle Sensorik und Steuerungstechnologien miteinander vernetzt sind. Wenn es einmal soweit ist, könnten sogenannte Nullenergiehäuser durchaus zur Norm werden. Bislang ist das jedoch noch Zukunftsmusik.
Was versteht man unter einem Nullenergiehaus?
Nullenergiehäuser sind hypereffiziente Bauwerke, die über das Jahr verteilt mindestens soviel Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugen, wie sie verbrauchen. Das heißt, sie sind energieautark und benötigen keine Energie von außen. Damit sind Nullenergiehäuser der Gold-Standard eines Green Buildings. Denn das Konzept des Nullenergiehauses geht über das Ziel eines Niedrigenergiehauses hinaus, das nur einen sehr geringen Energieverbrauch hat.
Oft wird ein Nullenergiehaus durch die Kombination einer sehr guten Wärmedämmung, einer hocheffizienten Lüftungsanlage und einer Photovoltaikanlage auf dem Dach erreicht. Die Wärmedämmung sorgt dafür, dass möglichst wenig Wärme über die Gebäudehülle verloren geht, die Lüftungsanlage sorgt dafür, dass die Luft im Haus ständig ausgetauscht wird, ohne dass dabei unnötig Energie verloren geht. Die Photovoltaikanlage erzeugt aus Sonnenenergie Strom, der im Haus genutzt oder ins öffentliche Netz eingespeist werden kann.
Nullenergiehäuser zu planen und zu bauen, ist unter derzeitigen Voraussetzungen aber alles andere als einfach – erst recht, wenn nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Kein Wunder also, dass Städte wie Masdar in Abu Dhabi ihre ambitionierten Ziele aufgrund ökonomischer und technologischer Sachzwänge herunterschrauben. Wenn Großstädte, die in erdölproduzierenden Ländern aus dem Wüstensand gestampft werden, an diesem Ziel scheitern, wie soll es dann in bereits existierenden Städten gelingen, den Netto-Energieverbrauch auf Null zu reduzieren? Und welche Lehren sind aus dem gegenwärtigen Trend zur Null-Energie-Bauweise für die Zukunft energieneutraler Städte zu ziehen?
Energieneutralität durch Nullenergiehäuser wird immer greifbarer
Von staatlichen Maßnahmen über internationale und globale Initiativen ist das Schlagwort der Energieneutralität derzeit in aller Munde. Gebäude sind weltweit für etwa ein Drittel sämtlicher Treibhausgasemissionen verantwortlich; insofern scheint es sinnvoll, bei der Bekämpfung des Klimawandels hier anzusetzen.
Der technische Fortschritt unterstützt die Entwicklung von Nullenergiehäusern. Dank effizienteren Heiz-, Kühl- und Beleuchtungssystemen im Verbund mit besseren Gebäudehüllen und leistungsstärkeren Solarkollektoren hat sich der Aufwand für Planung und Bau eines Gebäudes mit niedrigem oder neutralem Energieverbrauch im Laufe der letzten zehn Jahre erheblich verringert. Dazu bedarf es nicht einmal futuristischer Technologien – im Handel erhältliche Systeme sind vollkommen ausreichend.
Gelungene Beispiele für Nullenergiehäuser
Die 20.000 Quadratmeter große Research Support Facility des National Renewable Energy Laboratory in Colorado ist ein gutes Beispiel. Okay, sie hat ein paar schicke Extras (sagt Ihnen der Begriff Thermolabyrinth etwas?), aber die eigentliche Energiesparleistung wird durch eine sorgfältige Standortauswahl, geschickte Ausrichtung und bauliche Strategien zur Maximierung des Tageslichteinfalls an den Arbeitsplätzen erzielt. Dazu braucht es kein Genie.
Der eigentliche Unterschied liegt in einer – verglichen mit herkömmlichen Ansätzen in der Bauwirtschaft – radikalen Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Architekten wurden einst als „Meister der Baukunst“ gefeiert, deren klugen Köpfen viele der zeitlosen Bauwerke entsprangen, die wir bis heute bewundern. Die Komplexität der heutzutage geforderten hyper-nachhaltigen Gebäudeplanung jedoch erfordert Fachkenntnisse auf unterschiedlichen Spezialgebieten, die die Kapazitäten jedes noch so gut ausgebildeten Architekten übersteigen.
Bei der Planung des NREL-Gebäudes bewährten die Architekten sich als „Meister der Teamkunst“, die Daten von einem Expertennetzwerk aus Ingenieuren, Bauunternehmern und verschiedenen Beratern synthetisierten und korrelierten. Anhand dieser Daten konnten sie die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Optionen laufend gegeneinander abwägen und somit ihre Zielvorgaben bezüglich Funktionstauglichkeit, Programmerfüllung und Energieeffizienz erreichen. In der Bauwirtschaft wird ein solches Vorgehen als „integrative Planung“ bezeichnet und gilt angesichts fest verwurzelter Mentalitäten und Traditionen als notorisch schwierig.
Virtuelle Modelle sind zur Umsetzung einer energieneutralen Gebäudeplanung unverzichtbar. Anstelle von 2D-Zeichnungen verlassen sich Planungsteams zunehmend auf 3D-Modelle als einzigen gemeinsamen Bezugspunkt. 3D-Technologie bietet eine ganze Reihe von Vorteilen für die Planung, Koordination und das Durchspielen alternativer Optionen.
Zuverlässige Leistungssimulationen sind bei der Planung von Nullenergiehäusern von entscheidender Bedeutung. Menschliches Verhalten ist unberechenbar und daher inhärent schlecht vorauszusagen. Wie viel Energie ein Gebäude letztlich verbraucht, hängt jedoch entscheidend davon ab, wie es von den Menschen, die dort ein- und ausgehen, tatsächlich genutzt wird. Bei der Planung des Gebäudes, in dem die David and Lucile Packard Foundation ihren Sitz hat, investierten die Bauingenieure ungewöhnlich viel Zeit in eine langfristige Nutzungsanalyse. Ein Aufwand, der sich lohnte – der Stammsitz der Stiftung im kalifornischen Los Altos ist das bislang größte zertifizierte Nullenergiehaus der Welt.
Skalierungseffekte für mehr Nachhaltigkeit in der Stadt nutzen
Einzelne Nullenergiehäuser sind lobenswerte planerische, technische, bauliche und betriebliche Leistungen. Um jedoch bei der Bekämpfung des Klimawandels nennenswerte Fortschritte zu erzielen, müssen sie im größeren Maßstab umgesetzt werden, und zwar so schnell wie möglich. Was bedeuten diese Trends für die Zukunft unserer Städte? Würde eine effizientere Ressourcennutzung dank gemeinsamer Infrastrukturen für Gebäudegruppen dazu führen, dass sich der Kostenaufwand der Energieneutralität verringert?
2014 veröffentlichte das New Buildings Institute einen Bericht zur Entwicklung einer wachsenden Anzahl von Bauvorhaben, die Energieneutralität anstreben. Ein Großteil der Gesamtfläche entfällt dabei auf Bildungsinstitutionen. Bei den meisten Projekten handelt es sich um Einzelgebäude. Andere jedoch erbrachten den Beweis, dass sich Skaleneffekte beim Bau eines Universitätscampus, Stadtviertels oder gar einer ganzen Ortschaft sehr viel effizienter nutzen lassen, sodass Nullenergiehäuser maßgeblich zur Nachhaltigkeit in der Stadt beitragen können.
Die größte energieneutrale Ortschaft in den USA ist das West Village auf dem Campus der University of California in Davis. Es handelt sich dabei um ein Gebiet mit Mischbebauung, in dem Wohnraum für insgesamt 3.500 Menschen – Studierende, Universitätsmitarbeiter und ihre Familien – vorgesehen ist. Die erste Phase des Bauvorhabens ist mittlerweile seit über einem Jahr bewohnt und das Planungsziel, den Netto-Energieverbrauch auf Null zu reduzieren, ist fast erreicht. Technische Störungen und ein unerwartet hoher Stromverbrauch durch die Elektrogeräte der Bewohner haben die Verwirklichung dieses Ziels bislang verhindert.
UC Davis ist keineswegs die einzige US-Uni, die sich tatkräftig für den Klimaschutz einsetzt. Seit 2007 haben insgesamt 673 Colleges und Universitäten die American College & University Presidents’ Climate Commitment unterschrieben – ein deutliches Zeichen dafür, wie groß das diesbezügliche Engagement im Bildungssektor ist. Campus-Universitäten amerikanischen Stils sind im Grunde Städte im Kleinformat und insofern ideale Versuchsgelände für die Umsetzung einer kohlenstoffneutralen Energieversorgung auf kommunaler Ebene. Die Grundsätze der Null-Energie-Bauweise bilden dabei eine Säule der übergreifenden Gesamtstrategie.
Die University of Arizona will in Zusammenarbeit mit Ameresco – dem größten unabhängigen Energiedienstleister in den USA – und dem Rocky Mountain Institute bis 2025 campusweite Kohlenstoffneutralität umsetzen. Die Planung sieht einen ganzheitlichen Ansatz zur Reduzierung des Energieverbrauchs mittels energieeffizienter Gebäude, kohlenstoffarmer Verkehrsmittel und einer Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien am Strommix vor.
Energieneutraler Bezirk FortZED in Colorado als Beispiel für Nachhaltigkeit in der Stadt
In Fort Collins im Bundesstaat Colorado wird dieser Ansatz bereits konsequent weitergedacht. FortZED ist ein energieneutraler Bezirk, der den Campus der Colorado State University sowie einen Teil der Innenstadt umfasst. Das Projekt verbindet Maßnahmen zur Effizienzsteigerung für ein breites Spektrum verschiedener Gebäudetypen mit der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen.
FortZED ist ein überzeugendes Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit einem Versorgungsunternehmen zur Prüfung der Machbarkeit von energieneutralen Stadtbezirken durch die Koordination zahlreicher Kleinkraftwerke – darunter Windturbinen, Solarkollektoren und Biomassekraftwerke – zur Erzeugung und bidirektionalen Verteilung erneuerbarer Energien. Eine beachtenswerte Leistung, wenn man bedenkt, dass unsere Stromnetze eigentlich als Einbahnstraßen ausgelegt sind!
Immer mehr US-amerikanische Städte schließen sich der „2030 Districts“-Initiative zur Reduzierung des Energie- und Wasserverbrauchs sowie der Treibhausgasemissionen an. Wenn ganze Stadtteile Energieneutralität anstreben, hat dies unmittelbare Konsequenzen für die Geschäftsmodelle der Versorgungsunternehmen. Woher kommt das Geld für die Leitungen und Umspannwerke, die den Strom in die Haushalte bringen, wenn die Zähler der Verbraucher auf Null stehen?
Erschwerend kommt hinzu, dass der Energieverbrauch der Gebäude zwar ein entscheidender, aber keineswegs der einzige Faktor ist, den es bei einer integrierten nachhaltigen Stadtentwicklung hinsichtlich der Klimafreundlichkeit zu berücksichtigen gilt. Die Belastungen durch Straßenverkehr, Wasserleitungen und Abfallentsorgung müssen ebenso in die Berechnungen eingehen. Um den Traum von der energieneutralen Großstadt in die Realität umzusetzen, sind Synthetiker eines neuen Schlags gefragt: Systemtheoretiker, die über die erforderlichen Kompetenzen verfügen, um massive technische, verwaltungstechnische und gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen.
Dieser Artikel wurde aktualisiert. Er wurde ursprünglich im Mai 2016 veröffentlicht.