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Verschlankung statt Verschwendung: So holen Sie bei Bauprojekten alle Beteiligten ins Boot

Wenn die Bauwirtschaft ein Mensch wäre, würde man sie vermutlich am „All You Can Eat“-Büfett antreffen, wo sie sich gerade ihren dritten Teller vollhäuft.

Die gesamte Branche müsste nämlich dringend abspecken – behauptet jedenfalls Dan Fauchier, der Gründer und Direktor der ReAlignment Group of California. Die in San Diego ansässige Unternehmensberatung hat sich auf Schulungen zum Thema „schlanke Bauprozesse“ für Fachleute in und um Kalifornien spezialisiert.

„Im Laufe der letzten fünfzig Jahre ist die Produktivität im Buagewerbe sogar gefallen“, bekräftigt Fauchier und weist auf eine Statistik des in Texas ansässigen Construction Industry Institute hin, der zufolge 57 Prozent (PDF) aller in der Bauwirtschaft geleisteten Arbeit unnötige Verschwendung ist. „Branchenweit sieht es trist aus. Unsere Projekte werden zwar fertig, aber sie sind zu teuer, nehmen zu viel Zeit in Anspruch und sind nicht effizient. Die Folge ist, dass die Bauherren nicht den ganzen Wert erhalten, für den sie zahlen.“

Gegenüber herkömmlichen Ansätzen schaffe die Umsetzung der sogenannten „Lean“-Philosophie im Bauwesen nicht nur mehr Wert für den Bauherren, so Fauchier, sondern reduzierten auch Kosten, Lieferzeiten, Ausschuss und Verschwendung. Jedoch sei erhebliche Überzeugungsarbeit erforderlich, um Bauunternehmer zur Änderung ihrer Arbeitsweise zu bewegen. Erfolge erziele man hierbei am zuverlässigsten durch den Aufbau dezentraler Netzwerke aus Akteuren, die bereit und imstande sind, den Wert „schlanker“ Bauprozesse in der Praxis nachzuweisen und die Vorteile der Lean-Philosophie zu predigen. So ließen sich letztendlich auch die weiteren Projektbeteiligten ins Boot holen.

Gesünder wirtschaften mit der Lean-Diät

Die Lean-Philosophie hat ihren Ursprung in der Automobilindustrie, lässt sich aber genauso gut auf die Baubranche anwenden. „Am Anfang stand das Toyota-Produktionssystem“, wie Fauchier erläutert. Der japanische Autobauer entwickelte sein berühmtes schlankes Produktionssystem mit dem Ziel, durch Reduzierung von Verschwendung Ressourcen zu schonen. Zu den zentralen Grundsätzen zählt dabei die „Just in Time“-Produktion: Zur Minimierung der Lagerbestandskosten werden jeweils nur exakt die zur fristgerechten Auftragserfüllung erforderlichen Stückzahlen produziert. Ein weiterer Kernbegriff ist Jidoka (PDF), was bei Toyota als „Autonomisierung“ bzw. „Automation mit einer menschlichen Note“ übersetzt wird.

stakeholder buy-in

“In design and construction we call it ‘respect for people,’” Fauchier says.

„In der Planung und im Bauwesen sprechen wir hier von ‚Respekt gegenüber den Menschen‘“, fügt Fauchier hinzu.

In Fertigungsanlagen, die nach dem jidoka-Prinzip funktionieren, sind Maschinen für die Produktion und Menschen für die Lösung von Problemen zuständig. Letztere greifen bei auftretenden Störungen ein, indem sie einerseits zeitnahe Maßnahmen zur Fehlerbehebung ergreifen und andererseits eine Ursachenanalyse durchführen, um ein erneutes Auftreten des Problems zu verhindern. Das Unternehmen profitiert davon, indem weniger Ausschussware produziert wird, der Kunde erhält ein höherwertiges Produkt, und die Zufriedenheit der Arbeitnehmer nimmt zu.

Zur Umsetzung der agilen und iterativen Arbeitsweise, die in der Softwareentwicklung erforderlich ist, bietet sich die Lean-Philosophie geradezu an. Entsprechend hat sie sich außerhalb der Automobilindustrie vor allem als Geschäftsmodell für Start-ups der Technologiebranche durchgesetzt. Nicht weniger sinnvoll sind „schlanke“ Methoden jedoch bei Bauprojekten. Auch hier können die Grundsätze der kontinuierlichen Verbesserung, Wertschöpfung und Reduzierung von Ausschuss und Verschwendung einer Firma in den Augen der Bauherren wie der Arbeitnehmer erhebliche Wettbewerbsvorteile verschaffen.

„Durch Reduzierung der Ressourcenvergeudung können Bau- und Planungsfirmen ihre Kosten senken“, so Fauchier. „Dadurch werden sie wettbewerbsfähiger. Außerdem haben wir branchenweit mit einem Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen. Eine offensichtliche Lösung besteht darin, die vorhandenen Arbeitskräfte effizienter einzusetzen, sodass weniger Zeit verschwendet wird. Wenn wir ihnen die Chance geben, ihre Intelligenz und Erfahrung zur laufenden Verbesserung ihrer Leistungen zu nutzen, wird das dazu führen, dass ihnen die Arbeit mehr Spaß macht [und] ihre Produktivität zunimmt.“

Verschlankung durchsetzen

Baustellen, auf denen nach Lean-Prinzipien mit mehr Effizienz und dynamischeren Strategien zur Problemlösung gearbeitet wird, unterscheiden sich schon auf den ersten Blick von herkömmlichen Bauprojekten. Man erkennt sie an folgenden Merkmalen:

  • Bessere Organisation.Zur Verrichtung der Arbeit sind weniger Arbeitskräfte erforderlich, die sich nicht gegenseitig im Weg stehen.
  • Mehr Ordnung.Es werden weniger Geräte und Werkstoffe von einem Ort zum anderen bewegt.
  • Mehr Sicherheit.Es gibt weniger Hindernisse, Ablenkungen und potenzielle Risiken.
  • Bessere Stimmung.Die Arbeitnehmer sind zufriedener und müssen weniger Überstunden machen.

stakeholder buy-in

Allen Vorteilen zum Trotz stößt das Lean-Geschäftsmodell nach wie vor auf viel Widerstand. „Aus der Physik wissen wir, dass die Trägheit zu den stärksten Kräften zählt“, so Fauchier. „Wir Menschen sperren uns gegen Veränderung. Lieber halten wir an altgewohnten Arbeitsverfahren fest, von denen wir wissen, dass sie funktionieren. Wenn wir jedoch etwas verändern, lässt sich nicht unbedingt vorhersehen, was passiert.“

Deswegen sind Projektverantwortliche, die bereits von den Vorteilen schlanker Prozesse in der Bauwirtschaft überzeugt sind, erst recht gefordert, die übrigen Projektbeteiligten zu einem Umdenken zu bewegen, indem sie ihnen in der Praxis beweisen, welche Chancen sich hier auftun. Die folgenden drei Tipps können helfen, Skeptiker ins Boot zu holen:

1. Überzeugungsarbeit funktioniert von oben nach unten

Als erstes gilt es, die Hauptakteure bei sämtlichen beteiligten Auftragnehmern und Subunternehmen zu überzeugen – und zwar sowohl den Geschäftsführer als auch den Bauleiter. „Sind diese erst einmal engagiert dabei und bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen und selbst die Umstellung auf schlanke Prozesse zu vollziehen, dann stehen die Aussichten sehr gut, dass die übrigen Mitarbeiter ihrem Beispiel folgen werden“, so Fauchier.

2. Taten statt Worte

Anstatt Geschäftsführern und Bauleiter mit weitschweifigen Vorträgen zu langweilen, ist es sehr viel sinnvoller, ihnen die Vorteile der Lean-Philosophie anhand praxisbezogener Übungen zu vermitteln.

Fauchier arbeitet hier mit dem Simulationsspiel Villego, das die Schulungsteilnehmer mithilfe von Lego-Bausteinen in die Lean-Philosophie einweist. Die Übung dauert insgesamt ca. fünf Stunden und ist für Gruppen von sieben bis 14 Teilnehmern geeignet. In der ersten Runde wird ein Lego-Bauprojekt mit herkömmlichen Methoden geplant und gebaut, in der zweiten Runde nach den Grundsätzen der Lean-Philosophie. Nach Auskunft von Villego können die Teilnehmer die Bauzeit in der zweiten Runde zumeist um das Drei- bis Fünffache verkürzen.

„Man kann die Leute nicht zu ihrem Glück zwingen, indem man ihnen die Lean-Philosophie aufdrängt“, betont Fauchier. „Man kann ihnen sämtliche verfügbaren Statistiken zeigen – solange sie den Unterschied nicht mit eigenen Augen sehen, lässt sich damit höchstwahrscheinlich wenig ausrichten. Bei einer derartigen Simulation bekommen sie hautnah zu spüren, worum es geht.“

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Alternativ lassen sich die Vorteile schlanker Prozesse wirkungsvoll veranschaulichen, indem man sie zur Lösung eines isolierten Einzelproblems anwendet. Die erzielten Ergebnisse können dann als überzeugendes Argument für umfassende Veränderungen im gesamten Unternehmen herangezogen werden. Wenn beispielsweise die Bearbeitung eines Änderungsauftrags nach gegenwärtigem Stand sechs Wochen dauert, bietet sich eine Optimierungsmethode an, die als „Wertstromanalyse“ bezeichnet wird und durch Identifikation von Einsparungspotenzialen eine effizientere Gestaltung der Arbeitsabläufe ermöglicht.

„Hier gibt es jede Menge Ansatzpunkte, wo sich mit geringem Aufwand große Wirkung erzielen lässt“, meint Fauchier. „Diese kleinen Erfolgserlebnisse machen den betroffenen Akteuren dann Mut, die nächste Herausforderung anzugehen, und darauf kann man alles weitere aufbauen.“

3. Begeisterung steckt an

Sind der Geschäftsführer und der Bauleiter erst einmal im Boot, ist die schwierigste Aufgabe bewältigt. Im nächsten Schritt muss dann der Rest der Belegschaft überzeugt werden. Am einfachsten bringt man den Mitarbeitern schlanke Prozesse und deren Vorteile mithilfe einer Übung nahe, bei der sie gebeten werden, ihre Arbeitsabläufe zu analysieren und Verbesserungsvorschläge zu machen. Fauchier empfiehlt dazu das Buch von Paul Aker mit dem Titel „2 Second Lean.

Unterstützend können Videoaufnahmen eingesetzt werden. Fauchier schlägt vor, die Mitarbeiter – natürlich nur mit ihrer vorherigen Einwilligung – bei der Arbeit zu filmen und dann aufzufordern, anhand der Aufnahmen eine Selbstanalyse vorzunehmen. So können Mitarbeiter beispielsweise feststellen, dass sie durch Umstellung der Geräte an ihrem Arbeitsplatz Zeit sparen könnten. Oder auch, dass sich bestimmte Aufgaben schneller bzw. sicherer erledigen ließen, wenn man ihre Abfolge ändern würde.

„Wenn man die Leute zur Erkenntnis bringt, dass sie selbst die Experten in ihrem jeweiligen Bereich sind und sie dabei unterstützt, die eigene Arbeit aus neutralerer Sicht zu betrachten, wird ihnen klar, dass sie durchaus Veränderungen bewirken können“, erzählt Fauchier. „Wenn sie das einmal in Angriff nehmen und merken, dass sich ihre Arbeitsbedingungen ein Stück weit verbessern, finden sie das toll und stecken mit ihrer Begeisterung andere an. Am Ende hat man dann ein Projekt mit lauter Menschen, die mit Feuer und Flamme dabei sind, ihre eigene Arbeit besser zu machen, und gemeinsam mit ihren Kollegen Ansätze zu entwickeln, damit das gesamte Team dynamischer zusammenarbeitet.“

Über den Autor

Matt Alderton lebt und arbeitet in Chicago als freischaffender Publizist. Er hat sich auf Wirtschaftsthemen, Design, Ernährung, Reisen und Technologie spezialisiert. Unter anderem hat der Absolvent der Medill School of Journalism an der Northwestern University in Illinois bereits über Beanies, Mega-Brücken, Roboter und Hähnchen-Sandwiches berichtet. Er ist über seine Website MattAlderton.com zu erreichen.

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